ein solo von und mit toula limnaios
»the rest of me« ist ein solo über die schwebe zwischen nähe und beunruhigender fremdheit. ein fragmentiertes portrait von schmerz und innerer zerrissenheit. die verwehten splitter werden verdichtet, geknüpft und gewebt wie ein »ariadnefaden«, in einem wirbel von überresten eines selbst, die ein ganzes binden. verhaftet in einer »ungeheueren« gegenwart, als wäre es ein zustand, erzählt toula limnaios in ihrem solo von einem labyrinth der kleinen und großen wunden und entrollt diesen faden durch den mikrokosmos des eigenen körpers wie eine kartographie.
verwerfungen werden in zwiespälten sichtbar. intim und zärtlich verortet die choreographin/ tänzerin den einbruch existenzieller ängste in durchscheinend, zerbrechlichen portraits. unverhüllt lässt sie erschütterungen und unbehagen greifbar werden. sie macht sich berührbar in einer inwendigen spurensuche – tief emotional in der präsenz und mutig in der resonanz. sie stellt die frage nach der empfindsamkeit des menschen in seiner fragilität – ein seltener einblick – beunruhigend, gespannt, mitreißend.
»the rest of me als kaleidoskop persönlicher erinnerungen und einer zeit, die man erlebt und geteilt hat, verzaubert mit seiner glaubhaften ehrlichkeit und seinem faszinierenden toulaesken tanzvokabular.« (www.tanzpresse.de, juliane wieland, 2012)
die cie. toula limnaios wird institutionell gefördert durch das land berlin, senatsverwaltung für kultur und europa. mit freundlicher unterstützung des kulturamtes pankow.
gastspiele: hannover, bremen
fotos: sabine wenzel, alfredo mena, cyan
»die anfangsszene atmet mythische kraft. ein hoher karger lichtraum: vorn rechts sitzt eine weißgewandete frau, unbeweglich. durch die linke hand läuft ein langer faden vom knäul am boden und hüllt ihren kopf rot ein. die statuenhafte erstarrung dieser griechischen schicksalsgottheit fesselt den blick, während auf der hinteren wand im video eine frau in unendlichen anläufen auf einem waldweg auf den betrachter zu rennt. sehr behutsam und im rhythmischen wechsel beginnt die moira den faden vom kopf zu wickeln, ungläubig zweifelnd hält sie ihn zwischen den sprechenden händen, die nicht zu glauben scheinen, dass er immer länger wird und so viel lebenszeit in ihm gespeichert ist. die statue entpuppt sich. es ist toula limnaios, die ihren eigenen lebensfaden diagonal durch den raum legt. in fragmentierten bildern beginnt ihr innerer monolog mit der gelebten zeit.
klein, so zerbrechlich wie energiegeladen, die langen haare offen – toula limnaios liefert sich ganzkörperlich aus. selbstbefragung ohne direkte biografische bezüge. toula limnaios’ neue soloarbeit untersucht die eigene komplexe befindlichkeit, das ringen um das eigene und die permanenz der zerstörungen in der innen- und außenwelt, die in ihrem körper eingegraben sind. ›the rest of me‹ lebt in den bruchstücken aus tanz, sinnstiftenden videosequenzen (cyan) und der multiplen musiksprache von ralf r. ollertz, der hier die risse, brüche, vertikalen zeitschienen durch chorische vokalisen, liedmotive über hämmernden ostinaten schlägen eindringlich verdichtet. toula limnaios tritt erhaben, erschüttert und erschütternd, kraftvoll, grotesk, kindlich, schutzlos und schutzsuchend in den dialog mit sich selbst und ihren zuschauern. fokussiert auf ihre künstlerpersönlichkeit als choreografin und tänzerin in personalunion, trägt und prägt sie diesen abend mit ihrem körper. ihr neues tanzsolo ›the rest of me‹ ist eine konzentrierte einstündige suche nach dem eigenen in der fortschreitenden zersplitterung der existenz.« (neues deutschland/ www.tanznetz.de, dr. karin schmidt-feister)
»ein fixstern am choreografenhimmel ist toula limnaios. /// rucksack voller erinnerungen: seit ihrem solo ›vertige‹, in dem sie sich in einen wilden taumel katapultierte, kennt man toula limnaios als ausdrucksstarke tänzerin. limnaios variiert (in ›the rest of me‹) die themen und verleiht ihnen eine schmerzliche intensität. anfangs sitzt die griechin am rand der bühne in einem japanischen gewand, ihr kopf ist mit wollfäden umwickelt. ein surreales bild. hektisch beginnt sie den faden aufzuspulen, ihr gesicht zu enthüllen. es wirkt wie eine symbolische geburt. wenn sie den faden dann im raum auslegt, erinnert sie an die ariadne aus der griechischen mythologie. es ist das labyrinth der seele, in das sich toula limnaios hineintastet. die ungeheuer lauern im inneren. es ist erstaunlich, wie diese zierliche frau dann alle energie zusammenballt, um sich zu befreien aus dem strudel der emotionen. toula limnaios zieht nicht bilanz, sie zeigt eine suchbewegung. ein unterwegssein zu sich selbst. sie hat sich ihre widerspenstigkeit bewahrt.« (tagesspiegel, sandra luzina)
»blättern im selbst: die choreografin toula limnaios gewährt einblick in ein fragiles geflecht aus verkörperungen existenzieller themen. das solo zeigt in einer glatten wie subtilen struktur einerseits eine mögliche innensicht und andererseits (eine sammlung) von elementen, (die) substanzielle themen wie nähe, fremdheit, die last und leichtigkeit des lebens oder fallen und wieder aufstehen in physischer wie metaphysischer hinsicht sucht. die bühne, ein weißer würfel, erlaubt sich ganz der körperlichkeit in seinen klaren, weich fließenden bewegungen und der sehr persönlich eingesetzten gestik und mimik von limnaios hinzugeben. die videoprojektion setzt die tänzerin inmitten eines vogelschwarms, dessen bewegungsmuster sich auf die tänzerin überträgt bis sie selbst teil des schwarms zu sein scheint, und der zuschauer sich plötzlich wie herangezoomt dem bühnenkosmos annähert. die tanzepisoden (werden von der musik von ralf r. ollertz) auf eine zerbrechliche art und weise getragen. das gewicht des rucksacks zieht sie immer wieder richtung boden, lässt sie fallen, wieder und wieder; doch immer von neuem steht sie auf und lässt ihren körper unverwundet als sensibles instrument brillieren. die thematisierung der zeit äußert sich in der sichtbarmachung eines körpers, der gewissermaßen authentischer und sinnlicher von seinen erinnerungen erzählen kann. ›the rest of me‹ als kaleidoskop persönlicher erinnerungen und einer zeit, die man erlebt und geteilt hat, verzaubert mit seiner glaubhaften ehrlichkeit und seinem faszinierenden toulaesken tanzvokabular.« (www.tanzpressede, juliane wieland)
»alle kunst handelt immer auch von dem, der sie kreiert. was toula limnaios eine stunde lang in ihrer spielstätte, der halle tanzbühne berlin, leise aus sich herausquellen, dann durchaus lauter hervorbrechen lässt, berührt gerade durch die unspektakuläre art, wie es geschieht. weiter zieht sie sich dort fäden wie direkt aus dem hirn, zerrt sie straff und legt damit auf der diagonalen eine art faden der ariadne, an dem sie sich fortan durch das eigene leben hangeln wird. unter unsichtbarem fremdeinfluss treibt es den körper, die flucht ins mechanisch puppenhafte ist kein ausweg. es folgt eine der schönsten szenen des abends, toula limnaios im kampf um ihre freiheit vor den traumatischen bildern eines vogelzugs. vor kontrahierenden schwarzen »wolken« am weit sich dehnenden himmel wandern die beine der tänzerin … . anregend wie stets und diesmal besonders persönlich fällt das gesamtergebnis aus.« (neues deutschland, volkmar draeger)
»›the rest of me‹ ist ein zur musik ihres partners ralf r. ollertz und den videoarbeiten von cyan einstudiertes solo der wunderbaren choreografin toula limnaios. die schülerin von pina bausch hat ein faible für tiefen, wie sie mit ihrer company in ihrer wunderbaren tänzerischen dostojewski-auseinandersetzung ›les possédés‹ oder auch in ›reading tosca‹ zeigte. gleichzeitig hat sie ein ausgeprägtes gefühl für stimmung und ästhetik. ein toula-abend ist ein erlebnis, das nur wenige kalt lässt.« (zitty)
interview mit toula limnaios von lauriane heckmann, 2012
viele ihrer choreographien haben ihre wurzeln in wichtigen philosophischen und humanistischen fragen. was sagt der tanz mehr als andere sprachen?
die worte, wenn sie einmal ausgesprochen sind, spiegeln nicht mehr ganz unser denken und unsere gedanken wider. tanz ist eine andere handschrift bzw. lesart – die des körpers – nonverbal – und erreicht die sinne, spricht auf unmittelbare weise von wesen zu wesen. weil nicht alles mit worten gesagt wird, … wird der körper dann zu einem ort der emotionen.
kann man sagen, dass ihre choreographie dem biografischen genre ähnelt, das die geschichte des menschen und seiner veränderungen erzählt?
ein solo ist irgendwie mit der biographie der tänzerin/choreographin verbunden, auch wenn ihre biographie in der choreographischen idee nicht spezifisch explizit angegeben und nicht direkt damit verknüpft ist. zwischen den zeilen kann man aber immer noch fragmente und biographische züge erkennen …
warum haben sie die form des solos ausgewählt, um dieses sujet zu behandeln? wie haben sie dieses solo entworfen?
ein solo ist eine andere form der choreographischen mittel, die eine andere konzeption und lesart als ein gruppen-stück erfordert. wir sprechen hier auch nicht über die gleichen dinge und sie werden außerdem anders ausgedrückt … warum hat sich cocteau entschieden, einen monolog für die menschliche stimme zu inszenieren? warum ein solo, um dieses sujet anzugehen? ich glaube eher, dass man nicht die form des solos wählt, um ein bestimmtes thema zu behandeln, sondern eher das gegenteil. es ist das thema, dass einer anderen form bedarf …
das solo ist noch nicht fertig, weil es noch nicht vorbei ist, aber zwischen der konzeption einer idee bis zur endgültigen fertigstellung, gibt es oft abgründe und unterschiede, weil die zeit dazwischen gelebt wurde. weil man nicht mehr die gleiche person wie gestern ist, aber auch nicht ganz anders.
wie zeigt man in einem solo die überreste, die in uns schweben und unser sein bilden – zerbrechlich, am rande unserer haut, als wären sie wie ein gewand von innen nach außen gestülpt – wie ein faden der ariadne, der die reste und erinnerungen, die großen und kleinen wunden, die fragmente/fetzen der gelebten und vergangenen zeit verwebt und eine einheit bildet. »the rest of me« ist wie ein permanenter innerer monolog, in dem der körper zeuge ist. wie das überqueren einer kartographie, wo der körper zu einem ort der emotionen wird, gefangen in einem wirbel, in dem der wind zum irrsinn treibt. (berlin poche, deutsch-französisches kultur-magazin)
interview mit toula limnaios von marek kalina, 3.3.2012
berlin gilt als das deutsche mekka des zeitgenössischen tanzes und dazu trägt schon seit vielen jahren auch die aus athen stammende choreographin toula limnaios bei. seit 2003 ist sie mit ihrer (1996 gegründeten) compagnie in der halle tanzbühne berlin ansässig. das ist in der eberswalder str. 10 und dort wird auch am 9. märz die nächste premiere zu erleben sein. – ein solo-abend mit toula limnaios mit dem titel ›the rest of me‹. toula limnaios ist jetzt bei mir im studio. herzlich willkommen.
frau limnaios, das ist schon etwas ungewöhnliches, denn zuletzt waren sie als tänzerin, glaube ich, vor 5 jahren auf der bühne zu erleben. was hat sie jetzt dazu bewogen, aufzutreten?
ich habe mich die letzten jahre auf die compagnie und die ensemble-stücke konzentriert sowie auch auf die kompositorischen mittel. nun wollte ich ein bißchen auf die essenz und mich selber zurückkommen: wie stehe ich eigentlich jetzt nach 5 jahren auf meinen füßen, was habe ich zu sagen? das ist jetzt auch eine große herausforderung für mich.
wie stehen sie denn jetzt auf ihren füßen?
ganz anders. ich bin jetzt 48 jahre alt und ich tanze auch anders als ich 20 war und es ist auch eine ganz andere bewegungssprache, ein ganz anderer zustand. ich kann nicht sagen, was ist besser, aber es ist vielleicht reifer geworden.
was ist anders? erzählen sie jetzt in ruhigeren zuständen oder wie muss man sich das vorstellen?
nein, das kann ich nicht sagen, weil ich von natur aus ein sehr dynamischer und ein physischer mensch bin. deswegen habe ich wahrscheinlich auch den tanz als ausdrucksmittel gewählt. nein, ich glaube, es ist einfach reifer in der kommunikation und gleichzeitig auch ursprünglicher.
was wollen sie in diesem stück mit dem interessanten titel »the rest of me« sagen? ist das persönlich gemeint?
nein, nicht nur. ein solo ist immer irgendwie biographisch. aber das ist jetzt nicht das thema. das thema ist vielmehr das, was in uns allen schwebt: jeder von uns hat überreste vom tag, z.b. wenn wir schlafen gehen. wir erleben die gegenwart mit überresten – von erinnerungen, gedanken, alltäglichen situationen – das alles schwebt die ganz zeit in uns. und ich glaube auch, dass wir nicht wirklich frei sind. wir sind immer eine fragmentierte identität. das wollte ich ein bißchen in diesem solo zeigen.
das, was sie jetzt erzählen, klingt sehr konkret. wie zeigen sie das auf der bühne?
ich zeige erst einmal fragmente. das ist wirklich wie ein portrait. aber ein fragmentiertes portrait. und ich versuche, die teile zu verknüpfen – durch einen roten faden, denn ich arbeite in diesem solo auch ein bißchen mit meinen wurzeln. deswegen fange ich in diesem solo an wie eine ariadne, die auch ihren faden spinnt. das ist für mich ein bißchen symbolisch oder metaphorisch – wie der faden des lebens. so versuche ich auch den weg durch diese fragmente zu verfolgen – mit dem körper als ort der emotionen.
aber was mich noch interessiert: sie haben natürlich gesagt, es nicht nur ihre persönliche erfahrung, aber auch. was ist das alles, was sie auf der bühne verarbeiten?
ich verarbeite nichts. aber es sind viele erinnerungen. wenn ich tanze, habe ich auch sehr viele gedanken an all die menschen, die mich begleitet haben auf diesem weg. ich bin jetzt 48. ich glaube, das ist für jeden so: wir stehen nie alleine auf unseren füßen. und deswegen sind wir – manchmal auch – nicht wirklich frei. weil alle diese beziehungen uns fesseln. darum geht es auch ein bißchen in diesem solo.
sie betonen dieses alter 48. ist das fast schon eine schmerzgrenze für eine tänzerin?
nein, für mich überhaupt nicht. ich kann es einfach nicht fassen. ich versuche es, aber für mich ist es so, dass ich mich wie eine 12-jährige oder 20-jährige fühlen kann. und die zeit ist einfach so vergangen – vergeht so schnell – das ist auch ein grundsätzliches thema in diesem solo, die zeit: wie man sie erlebt und gelebt hat bis heute. es ist nicht schmerzhaft, aber irgendwo – ja, die zeit vergeht und ich hoffe, dass ich das beste daraus machen konnte.
»the rest of me«, so heißt der neue solo-abend der choreographin und tänzerin toula limnaios. zu erleben ist die premiere am 9. märz. wie gesagt, in der halle tanzbühne berlin — das ist in der eberswalder str. 10–11. und danach gibt es noch eine reihe vorstellungen im märz. viele dank, dass sie bei uns waren.
ich danke. (rbb kulturradio, kulturradio am mittag, kultur aktuell)