mit »tempus fugit« bleibt die cie. toula limnaios der zeit auf der spur. tief sitzend darin ist die allzu menschliche sehnsucht nach dem glück. nietzsche sieht es in einer herde von tieren verkörpert, die ganz im augenblick leben, worum er sie beneidet, weil es für sie keine vergangenheit und zukunft gibt. in »tempus fugit« bewegen sich sieben tänzer/innen in einer sich fortwährend als gruppe fließenden einheit.

von einem inneren gleichklang angetrieben, entsteht ein strom, der alles umschließt. ein reigen wie eine einzige gemeinsame bewegung, die dennoch den einzelnen im moment offenbart.

 

alles ist endlich – die zeit lässt sich nicht festhalten. aber wie leben wir in ihr wirklich? hat uns die hektik des alltags eingenommen? gegenüber der atemlosigkeit unseres lebens wirkt die horde als muskel, voller vitalität und verbundenheit. masse und identität, macht und eigendynamik sind in ihr zentrale phänomene – die gruppe als mikrokosmos, die uns aus dem gefängnis der isolation befreit und neue kräfte entfesselt.

premiere 8 dez 2016

tanz/kreation: daniel afonso, leonardo d’aquino, daeho lee, katja scholz, hironori sugata, karolina wyrwal, inhee yu

die cie. toula limnaios wird institutionell gefördert durch das land berlin, senatsverwaltung für kultur und europa.

 

konzept/choreographie

toula limnaios

musik

ralf r. ollertz

tanz/kreation

daniel afonso, leonardo d’aquino, francesca bedin, laura beschi, priscilla fiuza, alessio scandale, hironori sugata, karolina wyrwal

lichtdesign

felix grimm

raum/kostüme

antonia limnaios, toula limnaios

choreographische assistenz

ute pliestermann

licht und bühnentechnik

domenik engemann, jan römer

kritiken

»schon ihr letztes tanzstück ›minute papillon‹ handelte von der flüchtigkeit des glücks. in ihrem neuen stück ›tempus fugit‹ meditiert die choreographin über die endlichkeit der existenz. die sieben famosen tänzer lehnen sich gegen das diktat der zeit.« (tagesspiegel, ticket, sandra luzina, 08.12.2016.)

»toula limnaios ist dafür bekannt, klassische werke aus kunst und literatur in sensationelle tanzstücke umzuwandeln, wobei der schwerpunkt auf menschlichen verbindungen liegt. von komplizierter bodenarbeit bis zum überfliegen der bühne, waren in ›tempus fugit‹ die agilen körper der tänzer gut an limnaios hoch aufgeladenes bewegungsvokabular angepasst.« (berlinartlink, beatrix joyce, 03.01.20178)

»toula limnaios löst glühende emotionen aus /// zwar lässt sich wohl jede/r wahre/n künstlerin sagenhafte kreative schaffenskraft nachsagen, und dennoch gibt es solche und solche. die einen werde nur alle zwei, drei jahre von der muse geküsst, zu den anderen gehört toula limnaios. die berliner choreographin wird nicht müde, sich ständig zu verändern, zu erneuern und zu hinterfragen, um dergestalt dem publikum dauerhaft anspruchsvolle erfahrungen zu bieten, die und immer wieder unter die haut gehen.

ihre aktuelle produktion tempus fugit lässt sich am besten als konzentrat schmerzhafter und gewaltiger emotionen beschreiben: toula schont hier niemanden mehr! gleich dem poetischer angelegten ›minute papillon‹ (dezember 2015) steht menschliches herdenverhalten und der druck, die peer pressure, die damit einhergeht im zentrum von toulas erzählerischem interesse. ihr stück lotet die untiefen der gegenwart aus, dringt in bereiche vor, in denen der mensch seine emotionalität gewissermaßen ausschwitzt. die sich verflechtenden und teilenden linien der sieben tänzerinnen (daniel afonso, leonardo d’aquino, daeho lee, katja scholz, hironori sugata, karolina wyrwal, inhee yu), verschwimmen immer mehr, um den ganzen raum einer hektischen interpretation einzunehmen. zwischen fliegenden hebungen und gequälten blicken entspannt sich eine intensive gestik.

auf einem die bühne abgrenzenden blättermeer beginnt der tanz der automaten, der immer auch ein oder zwei schwarze schafe am horizont offenbart. die mitreißende katja scholz ist eines dieser individuen und die tänzerin versucht sich mit hilfe ihrer virtuosität am ausdruck der eigenen differenz. schnell reiht sie sich allerdings wieder in reih und glied ein, wie ein kleiner, braver roboter, der etwas schroff von einem der anderen kollegen oder ’meister’ zur ordnung gerufen wird. ein weiteres starkes bild: jeder der protagonisten müht sich damit ab, die bewegungen eines säuglings zu imitieren, bzw. einer puppe, die der reihe nach von allen missbraucht wird. eine allzu wirksame metapher, die durch kalte und wahre perversität besticht.

marionetten gleich wirbeln und kreuzen sich die körper, die mit einer art getrockneten lehm überzogenen sind, werfen sich gegen wände und stolpern übereinander. wie die zeit, bewegen sie sich rückwärts vorwärts und werfen sich voran in verflechtungen, die sie gleichzeitig anziehen und stürzen lassen. aber auch die herzen geraten außer atem im rhythmus dieses destruktiven und frenetischen lebens am rande des wahnsinns. häute spannen und gesichter verzerren sich. und im auseinandergehen der linien, finden diese im gemeinsamen und kakophonen geschrei doch wieder zueinander.

in verbindung mit der ungewöhnlichen, musikalischen mischung (die haydn, mahler und ralf r. ollertz miteinander verbindet), oszilliert die kraft der form zwischen anziehung und abneigung. die neu arrangierte partitur ist dabei durchaus dem anlass angemessen, passend zu dem erdrückenden geschehen. ist dies etwa ein hoffnungsschimmer? eher nicht. denn das letzte bild, welches zeigt, wie leonardo d’aquino schallend lachend über den körperhaufen trampelt, lässt die herzen der zuschauer nachdenklich.« (cccdanse.com, reviews, léa chalmont, 12.12.2016.)